Arvo Pärt



aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie



Zur Navigation springen  Zur Suche springen  

Arvo Pärt (Aussprache: [ˈɑrvo ˈpært]; * 11. September 1935inPaide, Estland) ist ein estnischer Komponist, der als Vertreter der Neuen Einfachheit als einer der bedeutendsten lebenden Komponisten Neuer Musik gilt. Er hat die österreichische Staatsbürgerschaft.[1] Von 1981 bis 2008 lebte er in Berlin.[2]

Arvo Pärt in der Christchurch Cathedral, Dublin (2008)

Leben

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pärt wurde in Paide im Kreis Järva in Estland geboren und wuchs bei seiner Mutter und seinem Stiefvater in Rakvere in Nordestland auf. Er begann, mit den oberen und unteren Tönen des Klaviers der Familie zu experimentieren, da der mittlere Tastaturbereich beschädigt war.[3]

Im Alter von sieben Jahren begann Arvo Pärts musikalische Erziehung, mit vierzehn Jahren schrieb er erste eigene Kompositionen. 1954 begann er ein Musikstudium, arbeitete als Tonmeister beim Estnischen Hörfunk und studierte in Tallinn von 1958 bis 1963 Komposition bei Veljo Tormis und Heino Eller. Sein neoklassisches Frühwerk wurde von der Musik Schostakowitschs, Prokofjews und Bartóks beeinflusst. Anschließend experimentierte Pärt mit Schönbergs Zwölftontechnik und dem musikalischen Serialismus.

Seine Musik erregte den Unwillen der sowjetischen Kulturfunktionäre wegen der nicht als systemkonform angesehenen modernen Komponierweise und wegen ihres religiösen Gehalts. Seine Komposition Nekrolog, das erste estnische Werk in Zwölftontechnik, wurde 1960 von Tichon Chrennikow wegen ihres Serialismus offiziell missbilligt. Pärt suchte nach einem neuen künstlerischen Ausdrucksweg und fand ihn ab 1962 als Student am Moskauer Konservatorium in der sogenannten Collage-Technik, in der er (wie in seiner Komposition Credo) Klangmaterial aus den Werken anderer Komponisten entlehnt, vor allem von Johann Sebastian Bach. Die Collage-Technik erwies sich jedoch für Pärt als Sackgasse: Er hatte das Gefühl, „es [ergebe] keinen Sinn mehr, Musik zu schreiben, wenn man fast nur mehr zitiert“.[4]

1972 trat Pärt der russisch-orthodoxen Kirche bei. In einer langen schöpferischen Pause (1968–1976), in der die 3. Sinfonie (1971) das einzige autorisierte Werk ist, befasste er sich vor allem mit der Gregorianik (Gregorianischer Gesang), der Schule von Notre Dame und der Musik der Renaissance (klassische Vokalpolyphonie). Als Pärt 1976 das Klavierstück Für Alina präsentierte, hatte er in der langen Abgeschiedenheit seinen persönlichen Stil entwickelt, in dem die persönliche Gefühlswelt zugunsten einer dem Asketischen entsprungenen Balance zurücktritt.

Diese neue Sprache, die für diese Epoche seines Lebenswerk bestimmend ist, nannte er Tintinnabuli-Stil. Tintinnabulum (lateinisch) bedeutet Glöckchenspiel. Gemeint ist das „Klingeln“ des Dreiklangs, dessen drei Töne das ganze Stück über mittönen. Das Ziel dieses Stils ist eine Reduktion des Klangmaterials auf das absolut Wesentliche. Kompositionstechnisch bestehen Pärts Tintinnabuli-Werke aus zwei Stimmen: Eine Stimme besteht aus einem Dur- oder Moll-Dreiklang, die zweite ist die Melodiestimme, die nicht zwingend in derselben Tonart steht wie die erste. Beide Stimmen sind durch strenge Regeln miteinander verknüpft. Der kleinste musikalische Baustein ist der Zweiklang, weshalb auch die Melodiestimme aus zwei Stimmen besteht. Die daraus entstehenden Gebilde entbehren trotz der Einfachheit des Materials und des Ziels der Reduktion auf das Wesentliche nicht der Komplexität. Mit Hilfe alter Techniken wie des Proportionskanons entwickelt er Formen, die durch ihre Regelmäßigkeit große Ruhe ausstrahlen. Statische Dreiklänge repräsentieren die Ewigkeit, dynamische Melodien die Vergänglichkeit der Zeit.

Im Jahr 1980 emigrierte Arvo Pärt auf Druck der sowjetischen Regierung mit seiner Familie nach Wien, wo er die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt.[5] 1981 kam er als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes mit seiner Familie nach Berlin-Lankwitz.[2] Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Estlands verbrachte er Teile des Jahres in seinem estnischen Landhaus. 2008 kehrte er nach Estland zurück.[2]

Pärt erfreut sich einer für einen zeitgenössischen Komponisten ungewöhnlich großen Beliebtheit. Auf Einladung von Walter Fink war er 2005 der 15. Komponist im jährlichen Komponistenporträt des Rheingau Musik Festival. Das Festival Torino Settembre Musica ehrte Pärt anlässlich der Olympischen Winterspiele von Turin mit der Auftragskomposition La Sindone (Das Grabtuch), einer Orchesterkomposition auf das Turiner Grabtuch, die am 15. Februar 2006 im Dom von Turin uraufgeführt wurde. Deren deutsche Erstaufführung durch die Symphoniker Hamburg fand am 24. Februar 2007 in der Hamburger Laeiszhalle in Anwesenheit Pärts statt.

Die Aufführung seiner Werke in der Konzertsaison 2006/2007 widmete Arvo Pärt der am 7. Oktober 2006 ermordeten Journalistin Anna Politkowskaja.[6]

2014 erhielt er die Ehrenmitgliedschaft der International Society for Contemporary Music ISCM (Internationale Gesellschaft für Neue Musik).[7]

Am 13. Oktober 2018 wurde das von Nieto Sobejano Arquitectos geplante Arvo Pärt CentreinLaulasmaa (Estland) eröffnet.[8]

Ehrungen (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werk

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Arvo Pärt strebt in seiner fast ausschließlich religiös motivierten Musik nach einem Ideal der Einfachheit, das die spirituelle Botschaft unterstützt. Pärt erklärt seine Musik so:

„Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird. Dieser Ton, die Stille oder das Schweigen beruhigen mich. Ich arbeite mit wenig Material, mit einer Stimme, mit zwei Stimmen. Ich baue aus primitivem Stoff, aus einem Dreiklang, einer bestimmten Tonqualität. Die drei Klänge eines Dreiklangs wirken glockenähnlich. So habe ich es Tintinnabuli genannt.“[4]

Ein typisches Beispiel für seinen Stil ist seine Johannespassion, für die er wie für viele seiner Werke

„eine objektive, überpersönliche Art der musikalischen Umsetzung wählte. Der Text wird ohne jegliche Ergänzungen in Latein, der einstigen Weltsprache der Kirche, vorgetragen; Jesus und Pilatus sind zwar solistisch besetzt, ihr Gesang ist aber vollkommen eingebettet in den gleichmäßig meditativen, nicht konzertanten musikalischen Verlauf; der Evangelistenpart wird von ein bis vier Sängern in stets gleichbleibender, [...] mit diatonischen Dissonanzen angereicherter a-Moll-Tonalität vorgetragen.“[15]

Aus der Begründung der Gesellschaft zur Verleihung des Internationalen Brückepreises:

„Arvo Pärt hat mit musikalischen Mitteln dazu beigetragen, die spirituell prägenden Kräfte Europas aufeinander zuzuführen. In seinem Schaffen treffen sich Traditionen aus dem östlich-orthodoxen, dem römisch-katholischen und dem protestantischen Europa und bereichern sich wechselseitig. Es gelang ihm, eine Brücke zwischen Ästhetik, Ethik und Spiritualität zu schlagen und Elemente der Musiksprache des Ostens in die Konzertsäle des Westens einzubringen und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Sein Schaffen genießt so große Akzeptanz wie bei keinem anderen Komponisten der zeitgenössischen Musik. Sein Werk macht das menschliche Grundbedürfnis nach einer Verbindung von Ästhetik, Ethik und Spiritualität, die in unserer überwiegend säkularisierten Gesellschaft so oft der Politik und der Ökonomie untergeordnet werden, deutlich und erlebbar. Pärt schärft so den Sinn für die menschliche Gemeinsamkeit und Grunderfahrungen und leistet damit einen Völker verbindenden, Frieden stiftenden Beitrag für alle Menschen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen und Kulturen.“[16]

Graphic Novel

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2018 erschien eine Graphic Novel des estnischen Grafikers und Karikaturisten Joonas Sildre[17], die 2021 auf Deutsch erschienen ist:

Werke

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Arvo Pärt im Jahre 2011

Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wikiquote: Arvo Pärt – Zitate
Commons: Arvo Pärt – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Österreich ehrt Arvo Pärt. Abgerufen am 13. September 2015.
  2. a b c Jüri Reinvere: Woher die Musik kommt, ist ein Geheimnis. In: Berliner Zeitung vom 11. September 2015, S. 25.
  3. Arvo Pärt im Portrait - Elbphilharmonie Mediathek. Abgerufen am 25. Februar 2024.
  4. a b Harenberg Komponistenlexikon. Mannheim 2004. S. 691
  5. DiePresse.com, 9. Mai 2008. Abgerufen am 30. März 2014.
  6. Programmheft 5. Symphoniekonzert der Symphoniker Hamburg 24./25. Februar 2007
  7. Honorary members. Abgerufen am 25. Februar 2024 (amerikanisches Englisch).
  8. Arvo Pärt Centre. Abgerufen am 15. November 2021 (englisch).
  9. MINOR PLANET CIRCULARS/MINOR PLANETS AND COMETS. Abgerufen am 25. Februar 2024.
  10. Académicien décédé: Arvo Pärt. Académie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique, abgerufen am 3. November 2023 (französisch).
  11. Südwest Presse Ulm, 3. Mai 2007, S. 7.
  12. Nomina di membri del Pontificio Consiglio della Cultura, 10. Dezember 2011, abgerufen am 20. November 2017.
  13. Honorary members. Abgerufen am 25. Februar 2024 (amerikanisches Englisch).
  14. Silver Tambur: Arvo Pärt receives the Grand Cross of Merit from Germany. In: Estonian World. 12. November 2021, abgerufen am 15. November 2021 (britisches Englisch).
  15. Michael Wersin: CD-Führer Klassik. Stuttgart 2003. S. 267–268
  16. Brückepreis der Stadt Görlitz (Memento vom 15. Juli 2014 im Internet Archive)
  17. Kahe heli vahel, Laulasmaa: Arvo Pärdi keskus 2018. 222 S.
  18. Arvo Pärt – Magnificat | für gemischten Chor a cappella - Universal Edition. 20. November 2012, abgerufen am 25. Februar 2024.
  19. BBC – Robert Burns – My Heart's In The Highlands. Abgerufen am 15. November 2021 (britisches Englisch).
  20. Onlinepartitur, Universal Edition Wien, via Issuu
Personendaten
NAME Pärt, Arvo
KURZBESCHREIBUNG estnischer Komponist
GEBURTSDATUM 11. September 1935
GEBURTSORT Paide

Abgerufen von https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Arvo_Pärt&oldid=242542453

Kategorien: 
Arvo Pärt
Komponist klassischer Musik (20. Jahrhundert)
Komponist klassischer Musik (21. Jahrhundert)
Komponist (Estland)
Komponist (Kirchenmusik)
Komponist (Chor)
Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes
Träger des Ordens des Staatswappens (I. Klasse)
Träger des österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst
Träger des österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse
Träger der Gloria-Artis-Medaille für kulturelle Verdienste
Träger des Preises der Europäischen Kirchenmusik
Ehrendoktor der Universität Tartu
Person als Namensgeber für einen Asteroiden
Mitglied der Ehrenlegion (Ritter)
Mitglied der Estnischen Akademie der Wissenschaften
Mitglied der American Academy of Arts and Letters
Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften und Schönen Künste von Belgien
Este
Sowjetbürger
Österreicher
Geboren 1935
Mann
 


Navigationsmenü


Meine Werkzeuge  




Nicht angemeldet
Diskussionsseite
Beiträge
Benutzerkonto erstellen
Anmelden
 


Namensräume  




Artikel
Diskussion