Johannes Heinrich Schultz



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Johannes Heinrich Schultz (* 20. Juni 1884inGöttingen; † 19. September 1970inWest-Berlin), meist kurz J. H. Schultz genannt (und oft I. H. Schultz geschrieben), war ein deutscher Psychiater, schulenunabhängiger Psychotherapeut und Psychoanalytiker.

Weltberühmt wurde Schultz durch die Entwicklung des Autogenen Trainings zu Beginn der 1930er Jahre, worüber er, ebenso wie über die Theorie der Hypnose, Vorlesung hielt. Er war Schüler des Hirnforschers Oskar Vogt.

In der Zeit des Nationalsozialismus befürwortete er ab 1940 die Tötung behinderter Menschen.

Leben

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Der Sohn eines Theologen studierte Medizin in Lausanne, Göttingen (wo er Karl Jaspers kennenlernte) und Breslau. 1908 wurde er in Göttingen promoviert. Nach seiner Approbation im Jahr 1907 war er dort zunächst in der Poliklinik der Medizinischen Universitätsklinik tätig, ab 1911 in der Universitätshautklinik in Breslau, im Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt am Main, in der Nervenheilanstalt Chemnitz und schließlich in der Psychiatrischen Universitätsklinik in Jena unter Otto Binswanger, bei dem er sich 1915 habilitierte.

ImErsten Weltkrieg war er in Marienburg/Westpreußen, Rudczanny und Allenstein (hier Kontakt zu Karl Abraham) tätig und leitete 1916 bis 1918 das „Kaiserliche Militärgenesungsheim Malonne“ bei NamurinBelgien; 1919 wurde er außerordentlicher Professor für Psychiatrie und Nervenheilkunde in Jena, ab 1920 Chefarzt und wissenschaftlicher Leiter des Lahmann-Sanatoriums auf dem Weißen Hirsch bei Dresden. 1924 ließ er sich als Nervenarzt in Berlin nieder.

1925/26 war Schultz Mitglied des Gründungskomitees für den ersten Allgemeinen Ärztlichen Kongress für Psychotherapie,[1] Vorstandsmitglied der am 1. Dezember 1927 gegründeten Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie, ab 1928 Fachbeirat ihrer Verbandszeitschrift sowie ab 1930 mit Arthur Kronfeld (und Rudolf AllersinWien für den Referatenteil) Schriftleiter des nun Zentralblatt für Psychotherapie genannten Verbandsorgans,[2] 1933 Vorstandsmitglied der Deutschen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie unter Matthias Heinrich Göring, dem Vetter des Reichsmarschalls. In den Jahren 1936 bis 1945 war er Stellvertretender Direktor des auch „Göring-Institut“ genannten Deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie, leitete die dortige Poliklinik und war zuständig für die psychotherapeutische Ärzteausbildung. Schultz war Oberfeldarzt der Luftwaffe und verfügte über ein Büro im Reichsluftfahrtministerium. Zu den Geldgebern des Deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie gehörten die Reichsluftwaffe, die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und ab 1943 der Reichsforschungsrat. Schultz war in viele dieser Arbeitsgebiete involviert, worauf seine zahlreichen Publikationen aus dieser Zeit verweisen.

Schultz durfte kein Mitglied der NSDAP sein, da er in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet gewesen war, trat aber 1933 dem NSKK bei, das 1935 in der SA aufging.[3] Er war Anwärter im NS-Ärztebund.

Schultz propagierte 1940 die „Vernichtung“ behinderter Menschen[4][5] mit der Hoffnung, „daß die Idiotenanstalten sich bald […] umgestalten und leeren werden“.[6] Der NS-Staat organisierte in dieser Zeit die Aktion T4. Auch fällte Schultz durch seine Diagnosen „Todesurteile“ gegen „Hysterikerinnen“.[7] Er befürwortete ferner die Erlaubnis der Ehescheidung von „einer solchen Bestie“.[8]

Als sich Alexander Mitscherlich nach dem Krieg um eine Lehranalyse bei Schultz bewarb, deutete Schultz Mitscherlichs Ablehnung des Nationalsozialismus als Ausdruck einer „latenten Homosexualität“. Schultz befasste sich im Rahmen seiner Tätigkeit am Göring-Institut (wie Maria Kalau vom Hofe, Gustav Richard Heyer, Harald Schultz-Hencke, August Vetter, Göring und als Leiter der Forschungsabteilung Hans von Hattingberg) auch mit Homosexualität.[9] An dem Institut wurde einerseits versucht, Homosexuelle zu „heilen“,[10][11] andererseits leitete Schultz eine Kommission, die „Verdächtige“ zum Geschlechtsverkehr mit Prostituierten zwang, um „festzustellen“, ob sie homosexuell seien. „Schuldige“ wurden in Konzentrationslager überstellt.[12]

Nach 1945 arbeitete Schultz als Nervenarzt in Berlin. Bei den Lindauer Psychotherapiewochen war er Stammgast, zwischen 1950 und 1970 trat er insgesamt 20 Mal als Referent auf, wobei er hauptsächlich Vorträge und Übungen zum Autogenen Training abhielt.[13]

1956 war er Herausgeber der Zeitschrift Psychotherapie und Ehrenmitglied der DGPT. 1955 gründete er die Deutsche Gesellschaft für Ärztliche Hypnose und Autogenes Training.

Er war ab 1959 Mitherausgeber der Zeitschrift Praxis der Psychotherapie in J. F. Lehmanns Verlag.[13]

Grabstein für Johannes Heinrich Schultz auf dem Friedhof HeerstraßeinBerlin-Westend

Johannes Heinrich Schultz starb im September 1970 im Alter von 86 Jahren in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem landeseigenen Friedhof HeerstraßeinBerlin-Westend (Grablage: II-W-2-40).[14]

Fachgebiete

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Das Autogene Training. 1932
Neurose Lebensnot ärztliche Pflicht. 1936
Die Seelische Gesunderhaltung. 1941

Seit mindestens 1909 setzte sich Schultz mit der Psychoanalyse auseinander.

Bekannt wurde er durch die Entwicklung des Autogenen Trainings, das er auf der Grundlage der Hypnoseforschung und umfangreichen auch im Selbstversuch durchgeführten Einzelstudien öffentlich erstmals 1926 als „autogene Organübungen“ vorstellte und 1928 „Autogenes Training“ nannte. Es handelt sich dabei um ein autosuggestives Übungsprogramm, sich tief zu entspannen und mehr Gelassenheit zu erreichen.

Darüber hinaus war Schultz Spezialist für Hypnose sowie Fragen der Psychotherapie und Neurosenlehre.

Schriften

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In der DDR wurden Schultzes Schriften Geschlecht, Liebe, Ehe (Reinhardt, München 1940) und Die seelische Gesunderhaltung unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsverhältnisse (Mittler, Berlin 1942) auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[15]

Literatur

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Einzelnachweise

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  1. Geschichte der Psychotherapieverordnungen und Gesetze in Deutschland
  2. AÄZP Allgemeine Ärztliche Zeitschrift für Psychotherapie und Psychische Hygiene
  3. Günter Grau: Lexikon zur Homosexuellenverfolgung 1933–1945: Institutionen – Kompetenzen – Betätigungsfelder. Lit-Verlag, Münster/ Berlin 2010, S. 267.
  4. Dagmar Herzog: Sex After Fascism. Memory and Morality in Twentieth-Century Germany. Princeton University Press, 2005, ISBN 0-691-11702-0, S. 35
  5. Geoffrey Cocks: Psychotherapy in the Third Reich. The Göring Institute. Transaction, 1997, ISBN 1-56000-904-7, S. 235.
  6. Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-10-039310-4, S. 202.
  7. J. H. Schultz: Vorschlag eines Diagnose-Schemas. In: Zentralblatt für Psychotherapie. Band 12, Nr. 2/3, 1940, S. 97–161
  8. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 566
  9. Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-10-039310-4, S. 202 f
  10. James E. Goggin, Eileen Brockman Goggin: Death of a “Jewish Science”. Psychoanalysis in the Third Reich. Purdue University Press, 2001, ISBN 1-55753-193-5, S. 120
  11. Florence Tamagne: A history of homosexuality in Europe. Algora, 2006, ISBN 0-87586-356-6, S. 385
  12. Angelika Hager, Sebastian Hofer: Sex unterm Hakenkreuz. Das Lustverständnis der Nationalsozialisten in der Wissenschaft. In: Profil. 22, 2008
  13. a b Philipp Mettauer: Vergessen und Erinnern. Die Lindauer Psychotherapiewochen aus historischer Perspektive. Vereinigung für psychotherapeutische Fort- und Weiterbildung e.V., München 2010; online
  14. Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1. S. 495.
  15. Ministerium für Volksbildung der Deutschen Demokratischen Republik, Liste der auszusondernden Literatur
Personendaten
NAME Schultz, Johannes Heinrich
KURZBESCHREIBUNG deutscher Neurologe
GEBURTSDATUM 20. Juni 1884
GEBURTSORT Göttingen
STERBEDATUM 19. September 1970
STERBEORT Berlin

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