Gedenktafel vor Lenels Wohnhaus in Freiburg im Breisgau
1933 trafen den Ehrenbürger der Stadt Freiburg die Auswirkungen nationalsozialistischer Rassenpolitik; seine Tochter wurde aus ihrem Beruf als Krankenschwester verdrängt. Diese schweren Schicksalsschläge brachen Lenel. In den letzten anderthalb Jahren seines Lebens konnte er sich nicht mehr der Wissenschaft widmen. Am 7. Februar 1935 starb er und wurde im Familiengrab auf dem Hauptfriedhof Freiburg im Breisgau beigesetzt.
Seinem Wunsch entsprechend wurde er in aller Stille bestattet, und es wurde in Deutschland kein Nachruf veröffentlicht. Die über 80-jährige Witwe, Luise geb. Eberstadt (* 25. Februar 1857 in Frankfurt) und die Tochter Bertha Lenel (* 7. März 1882 in Freiburg) wurden am 22. Oktober 1940 im Rahmen der Wagner-Bürckel-Aktion aus Freiburg in das Lager Camp de Gurs in Frankreich verschleppt. Die Witwe starb im Lager († 7. November 1940). Bertha Lenel überlebte († 13. August 1973).
Als einer der großen deutschen Rechtshistoriker, bekannt geworden vor allem durch seine Interpolationenforschung zur römischen Rechtsgeschichte, wurde er zu seinem 80. Geburtstag 1929 mit einer Glückwunschadresse geehrt, in der 20 Länder verschiedener Erdteile und 100 Universitäten vertreten waren.
Geschuldet war dies vornehmlich seinem ersten Hauptwerk, dem Edictum Perpetuum. Darin erforschte er das in Rom praktizierte gleichnamige Rechtsschutzprogramm, das im Rahmen der Ämterregeln der periodischen Ankündigung Änderung der Handhabe von Rechtsangelegenheiten, insbesondere auch der Rechtsfortbildung diente, das prätorischeEdikt. Lenel hatte hierfür zahlreiche Fragmente aus den Ediktskommentaren zusammengetragen, die er in den justinianischenDigesten entnommen hatte.[6][7] Aufgrund seiner äußerst gewissenhaften Recherche und seiner textkritischen Auseinandersetzungen mit dem Stoff, gelang es ihm, zahlreiche bis dato unbeachtete Interpolationen nachzuweisen. Unwiderleglich erschlossen sich „verborgene“ klassische Rechtstexte, Texte, auf denen ihrerseits die Digesten erst gründeten.
Mit seinem Werk Palingenesia Iuris Civilis aus dem Jahr 1889 verfolgte Lenel das Ziel der Wiederherstellung aller verfügbaren Juristenschriften, soweit die Fragmente überliefert waren. Die Rekonstruktion einer klassischen Rechtsbibliothek hatte bereits der Begründer der Historischen Rechtsschule, Friedrich Carl von Savigny, erwogen. Dessen Schüler wiederum hatten sein Ansinnen nicht aufgegriffen, sodass Lenel ein unbearbeitetes Feld vorfand.[8] Die daraufhin folgenden bahnbrechenden Arbeiten Lenels veranlassten Fritz Pringsheim dazu, ihn als den bedeutsamsten Gelehrten dieser Fachrichtung zu bezeichnen. Eine Rechtsschule begründete Lenel nicht, obwohl viele junge Gelehrte aus Europa ihn aufsuchten, um von ihm zu lernen.[9]
Zu Otto Lenels 50. Todestag wurde am 7. Februar 1985 an seinem letzten Wohnsitz in der Holbeinstraße 547.982137.84535 in Freiburg eine Gedenktafel angebracht. Des Schicksals der Familie Lenel wird auch im Rahmen des Projekts Stolpersteine gedacht.
Das Edictum perpetuum. Ein Versuch zu seiner Wiederherstellung, mit dem für die Savigny-Stiftung ausgeschriebenen Preise gekrönt, Leipzig 1927; zuerst 1883 (Digitalisat; PDF; 54,6 MB).
Elmar Bund: Otto Lenel. In: Freiburger Professoren des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. von Johannes Vincke (= Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, 13), Albert, Freiburg im Breisgau 1957, S. 77 ff., insbes. S. 99.
Fritz Pringsheim: Römisches Recht in Freiburg nach 1900. In: Aus der Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaften zu Freiburg i. Br., hrsg. v. H.J. Wolff (= Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, 15), Albert, Freiburg im Breisgau 1957, S. 115 ff., insbes. S. 126.
↑Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 148.
↑Reinhard Zimmermann: Heutiges Recht, Römisches Recht und heutiges Römisches Recht. In: Reinhard Zimmermann u. a. (Hrsg.): Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik. C. F. Müller, Heidelberg 1999, S. 1–39, hier S. 17 f.
↑Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. In: Forschungen zum Römischen Recht, Bd. 36, Böhlau, Wien/Köln/Graz 1986, ISBN 3-205-05001-0, S. 121 f.
↑Otto Lenel, in: Hans Planitz (Hrsg.): Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Band 1, Meiner, Leipzig 1924, S. 140 (zur Rekonstruktion des Edikts, „der bedeutendsten kodifikatorischen Leistung der Römer seit den 12 Tafeln“) und S. 14.
↑Fritz Pringsheim: Römisches Recht in Freiburg nach 1900, in: Hans Julius Wolff (Hrsg.): Aus der Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaften zu Freiburg i. Br. Albert, Freiburg im Breisgau 1957, S. 119, Fn. 74.